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J'DAY STEFAN RAGER ANTWORTET
Wie bist du zur Musik gekommen?

Auf eine sehr schöne Art und Weise. Ich habe drei ältere Geschwister und wir haben viel Musik gemacht. Wir sind immer am Wochenende wandern gegangen. Bei der gemeinsamen Autofahrt wurden Lieder angestimmt, die wir dann zu sechst gesungen haben. Wir haben ein großes Repertoire gehabt. Man saß also da in diesem Auto - am Anfang durfte ich sogar noch vorne in der Mitte sitzen, denn wir hatten einen Opel mit durchgehender Vorderbank - und es bat irren Spaß gemacht. Daraus entwickelte sich dann auch meine erste Band: meine Geschwister spielten verschiedene Instrumente, und ich schlug auf irgendwelchen Persil-Kartons herum. Wir spielten Gospels, Volksmusik und alle möglichen anderen Sachen.

Du bist in München groß geworden. Wann bist du denn nach Hamburg gegangen?

Das ist jetzt sechseinhalb Jahre her. Ich hab` Christoph mit zehn Jahren kennengelernt. Wir sind zusammen zur Schule gegangen, hatten dort auch schon eine Band zusammen, und haben uns dann aber aus den Augen verloren, weil er gleich nach dem Abitur nach Hamburg gegangen ist. Ich fand dann in meinem Briefkasten obskure Kassetten, auf denen nichts drauf stand, die nur voll waren mit ziemlich guter Musik. Auf einer stand dann: "Say yes!". Ich wußte aber nie, was es mit diesen Geräten auf sich hatte, bis mich Christoph dann irgendwann mal anrief und sagte: "Hey, wir suchen einen Schlagzeuger". Ich hab' auch das Gefühl gehabt, ich muß einfach mal den Platz verlassen, wo ich geboren wurde. So entwickelte sich das dann.

Gibt es irgendwelche Schlagzeugerpersönlichkeiten, an denen du dich ausgerichtet hast?

Ja, Tony Williams und Steve Gadd. Tony Williams, der mit Miles Davis gespielt hat, der ein farbenprächtiges, völlig ungehemmtes Spiel hat. Und Steve Gadd war derjenige, der auf fast allen Pop-Platten mitgespielt hat, die in den Siebzigern und Achtzigern in Amerika produziert wurden. Er spielt sehr unauffällig, weich und rund weiblich. Aber Schagzeugerpersönlichkeiten gibt es heute keine mehr, und das liegt an der Technisierung. Weil der berufsmaßige Schlagzeuger mit der Maschine konkurieren muß, haben sich die meisten Leute in eine derartige technische Fertigkeit hineinentwickelt, daß sie eben zu puren Maschinen wurden - mit ganz wenigen Ausnahmen. F M.Einheit ist zum Beispiel die einzige Ausnahme, die ich hier in Deutschland kenne. Heute ist der Dj der interessanteste Schlagzeuger, der sich nämlich den Schlagzeuger aussucht, der früher charktervoll gespielt hat. Was sich für mich bis heute beim Musizieren wie ein Faden durchzieht, ist der Aspekt des Zusammenspielens. Ich reihe mich z.B. auch ungern als Künstler ein. Ich behaupte: ich bin kein Künstler... ...sondern Handwerker? ...sondern Musiker.

Oder vielleicht künstlerischer Mensch. Das ist ja etwas anderes und das Leben als künstlerischer Mensch ist ja vielleicht sogar das Angenehmere.

Ja, hmh.

Als ihr nach dem ersten Album die ersten Erfolge hattet, wie war deine Reaktion auf den plötzlichen Erfolg?

Das Wichtigste für mich war dabei das Gefühl, daß es seine Richtigkeit hat, Musiker zu sein - als Art innerer Legitimation also. Was passierte dann noch? Oh ja: ich hatte Geld. Das war wichtig für meine Entwicklung zu wissen: ich kann auf eigenen Füßen stehen.

Hast du die anglo - amerikanische Musikwelt manchmal um ihre Vorteile beneidet, was ihre Vermarktung betrifft?

Ich habe sie um ihre Geschichte beneidet.

Wodurch unterscheidet sich eure Aufnahmephase hier im Hamburger Hafenklang Studio von denen in London und NewYork?

Weil Studioaufnahmen irrsinnig viel Geld kosten, hat man normalerweise nur eine sehr begrenzte Zeit für die Einspielung zur Verfügung. Der wohl signifikanteste Unterschied ist das offene Ende. Hier ist es so, daß wir, als wir anfingen, gerade mal ein paar Stücke zusammen hatten, die sich dann auch erst entwickelten. Wir haben sogar von einzelnen Stücken verschiedene Arten des Aufnehmens probiert.

Welche Herangehensweise hat sich dann als die Beste erwiesen?

Da gehen die Meinungen auseinander. Man kann auch nicht sagen, daß es eine Herangehensweise gäbe, die für alle Stücke zu besten Ergebmssen führen würde. Mir persönlich gefallen die Sachen am besten, die spontan aufgenommen wurden. Die jüngsten Stücke, die wir jetzt aufgenommen haben, "Lost Culture", und "Beautiful Love" sind sehr lebendig.

Wie organisiert ihr euch?

Ich fange am besten bei mir an: Ich kümmere mich um die Verbindung zwischen der Gruppe und den Leuten, die sich für unsere Musik interessieren. Dirk kümmert sich mit Christoph zusammen vornehmlich um die Cover-Gestaltung: Jörn guckt, ob das Geld stimmt, für Loms haben wir noch keine Aufgabe gefunden. Dirk, Louis und Christoph sind die Haupt-Songschreiber der Gruppe.

Woran liegt deines Erachtens die aktuelle Tendenz zu mehr Gewalt?

Ich glaube der wohl wichtigste Punkt ist der Verlust von sozialen Bezügen und eines Rahmens, in dem man sich miteinander bewegt und zueinander verhält. Wir haben immer mehr das Gefühl, alleine dazustehen. Dieser Rahmen, der eigentlich immer gepflegt wurde, weil er eben Sinn machte, der wird nicht mehr erneuert. Über diesen Sinn wird etwas anderes gestellt, denn es wird als weitaus wichtiger betrachtet, den Menschen als Käufer zu erziehen, statt ihn als moralisch oder menschlich fühlendes Wesen zu unterstützen.

Wie ist deine eigene Beziehung zur Familie?

Ich habe noch keine gegründet, und ich weiß auch nicht, ob ich das jemals tun werde. Ich merke aber, wie wichtig meine Familie ist, weil ich mir viele Dinge, die mich selber ausmacben, nur abgeguckt habe. Ich merke, daß, immer wenn ich ein Problem mit meiner Mutter oder meinem Vater geklärt habe, ich ein Problem mit mir geklärt habe.

Du bist 1963 geboren. Was ist deiner Generation an Idealen und Zielen wichtig?

Ich glaube, daß sich die Ziele in meiner Generation schon oft verändert haben. Sie ist wohl die erste, der die Veränderungen wirklich zu schnell werden. In meiner Generation waren die ersten Yuppies. Bei vieIen, die ich so kenne, passierte dann eine Rückbesinnung. Viete gründen jetzt Familien, suchen auch Halt. Hier spaltet sich die Entwicklung auf.

Welcher Art ist der Einfluß von Musik auf Menschen? Gibt es zum Beispiel eine Beziehung zwischen Hip- Hop und Gewalt? Es gibt Studien darüber, daß es zwischen dem Maschinengewehrartigen Rhythmus aus der Drum-Box und Gewalt Beziehungen gibt.

Also so allgemein kann man das besttmmt nicht sagen. Musik kann schon ein Auslöser von Gewaltpotentialen sein Wesentlich wichtiger ist aber zunächst mal die Frage nach dem Gewaltpotenuai seiost, und warum es sich anstaut. Wenn Musik als ein Auslöser oder Katalysator wirkt, finde ich es schwierig, dies an der Musik festzumachen, ob es nun Hip-Hop, Hardrock, Death-Metal ist oder was es da alles gibt Der Auslöser für einen Menschen, der losgeht und mit der MP die komplette Besatzung eines Restaurants niedermacht, kann auch sein, daß er die "Verklärte Nacht" von Schönberg gehört hat und ihm so warm ums Herz wurde. Dieser gleichbleibende Rhythmus, der aus Maschinen kommt, hat schon was Totes. Die Chaostheorie hat hervorgebracht, daß, wenn ein Herz absolut gleichmäßig schlägt, dies das beste Zeichen dafür ist. daß es kaputtgeht. Die Unregelmäßagkeit macht schheßlich das Leben aus. Nur kann mir der Maschinenbeat auch helfen ein Gewaltpotential aufzulösen, die Frage ist nur,- was passiert, wenn ich zehn Jahre lang regelmäßig MaschinenBeat höre.Oder - was wäre, wenn ich diese Jahre nur Streichmusik aus der Romantik gehört hätte?

Welche Musik hörst du denn selbst gerne?

Seit ungefähr einem Jahr ist der Bereich Pop und Rock komplett dadurch erschöpft, daß ich sie selbst mache. Zuhause höre ich eigentlich Streichmusik - hauptsächlich aus Romantik und Impressionismus - und alte Vokalmusik, Gregorianik.

Woher kommt die Gruppe und wohin geht sie?

Ich glaube, daß die Gruppe im Kern dem Popsong treu bleiben wird. Ich hoffe jedoch auch, daß wir uns in Zukunft mehr Platz geben werden und uns nicht zu komprimiert darbieten müssen, was die "Musik pro Zeit" betrifft. Ich glaube, es läge ein gutes potential darin, mehr in die Atmosphäre zu gehen.

Worin unterscheidet sich die nächste Veröffentlichung von den Alben, die noch folgen werden?

Haha! Super Frage; und, verdammt nochmal, ich weiß keine Antwort darauf.

Oder mal erst gefragt: worin unterscheidet es sich von den Alben, die ihr jetzt hinter euch habt?

Es ist in einer wesentlich intensiveren Auseinandersetzung entstanden. Ich sehe diese Platte als ein Verbindungsstück zwischen zwei Epochen. Das, was wir bei dieser Platte lernen, können wir in der nächsten, glaube icb, wesentlich konkreter fassen.

Brian Ferry sagte, daß das, was Popmusik ausmacht, vor allem die Jugend der Musiker sei. Welche Beziehung hast du eigentlich zum Älterwerden?

Die Musik ist mein Ausdrucksmittel, und sie findet für mich im "Jetzt" statt. Ich wäre doof, wenn ich mich darauf festnageln würde, ewig jung bleiben zu müssen.

Zuletzt verändert: Donnerstag, 26. August 1999 von Axel Krägelius