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INTERVIEW: Dirk Darmstaedter/The Jeremy Days im März 1994
Mit "Brand new toy" stürmte die Hamburger Band "The Jeremy Days" 1989 die deutschen Charts und verschaffte sich damit auch im Ausland einen respektablen Erfolg. Auch das dazugehörige Debütalbum "The Jeremy Days" schlug ein wie eine Bombe. Inzwischen ist es um die Band etwas ruhiger geworden, weitere Single-Erfolge blieben aus. Am 23. März war die exzellente Live-Band im Rahmen ihrer noch laufenden Tour zu Gast in der PUMPE in Kiel.

Sönke Lundt sprach vor dem Konzert mit dem Sänger Dirk Darmstaedter über Erfolg, den Einfluß der Medien und das neue Album "Re-invent Yourself!".

Eure letzten drei Alben habt Ihr in London bzw. New York aufgenommen. Welche Erfahrungen habt Ihr dort gemacht und welchen Einfluß hatten diese Aufenthalte auf Eure Musik?

Einfluß auf die Musik hatten diese Aufenthalte eigentlich zunehmend weniger. Deswegen haben wir auch die neue Platte in Hamburg gemacht, weil wir uns eigentlich hier am wohlsten fühlen. Wir haben hier ein Studio direkt am Hafen mit Blick auf die Elbe, wo wir uns auch immer auf die Studio-Aufnahmen vorbereitet haben, wo wir alles geschrieben und arrangiert haben. London und New York sind natürlich aufregende, interessante Städte. Ich würde sagen, Clive Langer, der unsere beiden ersten Platten produziert hat, ist derjenige, von dem wir am meisten gelernt haben. Bei dieser Platte wollten wir nicht, daß noch ein sechster Mann ein Mitspracherecht hat, weil wir auch ohne Produzent ziemlich genau wußten, was wir wollten. Hier im Hafenklang konnten wir uns Zeit lassen, um die Sachen wirklich so klingen zu lassen, wie wir sie in unseren Köpfen gehört haben. Das kannst du eben nur in deinem eigenen Studio, und nicht irgendwo in teuren Studios auf der Welt.

Also eine ganz bewußte Entscheidung, oder werden die Plattenfirmen in Zeiten zunehmender Rezession auch geiziger?

Klar, Geldmangel spielt natürlich auch eine Rolle. Aber ich denke, daß jede Rezession auch eine Chance darstellt. Eine Platte wird nicht besser oder schlechter, wenn man 500 000 Mark hat oder nur 30 000 Mark. Generell ist es doch so: Soviel Geld wie da ist, wird auch ausgegeben.

Handelt "Possibility is the killer", der Opener Eurer neuen Platte, nicht genau von dieserThematik - daß nämlich die Möglichkeit, alles tun zu können, die Menschen an den Rand des Wahnsinns treiben kann? Die Beschränkung auf das wesentliche als eine Art kreative Kraft?

Ja, vielleicht... das wird auch so von vielen gesehen, daß das etwas mit den Jeremy Days zutun hat, das kann auch sein. Eigentlich geht es in "Possibility is the killer" mehr um die allgemeine Überflutung des einzelnen mit Informationen, das Bombardement mit Medien wie Zeitungen, Fernsehen usw. Wir leben ja in einem Zeitalter, in dem immer mehr Informationen auf einen eingedroschen werden, und die Leute verstehen immer weniger, worum es eigentlich geht; was passiert eigentlich in Bosnien? Die Hintergründe interessieren doch keinen mehr wirklich. Das ist im großen und ganzen die Geschichte von "Possibility is the killer" – recht humorvoll ausgedrückt, weil ich darin die Geschichte eines Typen erzähle, dem das alles zu viel wird, der sich ein Raumschiff baut, und sich damit in die Hemisphäre schießt.

Auch in den Stücken "Smile" oder "Housewife at the end of the world "geht es ja um die Medien...

Man könnte auch die ersten drei Stücke als eine Art Trilogie sehen: Das erste, "Possibility is the killer", das zweite "Re-Invent Yourself!", das ja dazu aufruft, sich sozusagen täglich neu zu erfinden, und das dritte Stück "Victory over Vanity, das ja genau von dem handelt, worüber wir eben gesprochen haben, also vom Sieg über die Eitelkeit. Wenn ich mich so umsehe in meinem Freundeskreis, dann hat sich jetzt in den 90ern eine Menge geändert im Vergleich zu den 80ern, wo es diese ‘Heute in Tokio, morgen in Paris’-Mentalität gab. In den Achtzigern schien es für viele Leute ja irgendwie gar keine Grenzen zu geben, also alle dachten, man könnte wahnsinnig schnell reich werden und dann ist das Leben irgendwie ganz "groovy".

Läßt sich diese Rückbesinnung, Grenzen zu erkennen, eigene Ansprüche zu reduzieren, auch auf den Musikbereich übertragen?

Ja klar, man sieht ja z.B., daß es diese neue Folk-Welle gibt - die neue Garde der Protestsänger, oder auch, daß die Leute der vielen Technik allmählich überdrüssig geworden sind...

Obwohl gerade Eure neue Platte ja wieder mehr mit Technik spielt, vielschichtiger und experimenteller ist als Eure letzte Platte "Speakeasy", die ja insgesamt etwas straighter war.

Ja genau. Aber selbst ein Song wie "Housewife at the end of the world" ist von der Grundstruktur ja eigentlich ein ganz einfaches Stück, das man live auch mit weniger Elementen spielen kann.

Einige von Euch haben ja inzwischen eine eigene Familie mit Kindern. Wie läßt sich das Familienleben mit Eurer Arbeit - auf Tour gehen, Tage und Nächte im Studio verbringen - vereinbaren?

Ich habe eine Tochter und jetzt gerade einen sechs Wochen alten Sohn, und eigentlich finde ich, daß sich das mit meiner Arbeit ganz gut vereinbaren läßt. Man hat halt andere Zeiten, in denen man seine Kinder sieht. Ich bin dann vielleicht nachts im Studio, aber vormittags kann ich mit meiner Tochter unterwegs sein, da die Jeremy Days sowieso nie vor drei Uhr nachmittags üben. Ich selbst bin so aufgewachsen, daß mein Vater um acht Uhr morgens, wenn ich gerade aufstand, aus dem Haus ging, und dann so gegen sieben Uhr abends nach Hause kam, mir noch mal auf die Schulter klopfte und "gute Nacht" sagte. Ich hatte nicht so wahnsinnig viel von ihm. Klar ist es manchmal schwierig. Wir gehen jetzt vier Wochen auf Tournee und dann sehe ich meine Familie eben nicht. So ist das nun mal.

Bei Eurem letzten Kieler Konzert im Herbst 1992 in der PUMPE habt Ihr eine Live-LP angekündigt. Was ist daraus geworden?

Die wird kommen! Wir haben seit 1989 auf jeder unserer Tourneen Konzerte aufgenommen, weil die Planung für ein solches Album schon damals feststand. Was wir wollten, war eine Platte so in der Richtung "Fünf Jahre Jeremy Days live", und diese fünf Jahre wären eigentlich dieses Jahr fällig. Wir werden auch auf dieser Tournee zwei Konzerte aufnehmen und dann wird eigentlich gemischt. Im Herbst sollte dann eine richtig schöne Live-Platte herauskommen.

Auf "Re-Invent Yourself" finden sich musikalisch sehr unterschiedliche Songs. In "Possibility is the killer" z.B. stehen die Keyboards sehr im Vordergrund, "Beautiful Love" ist ein sehr gitarrenorientiertes Stück, "Victory over vanity" ist eher jazzig. Liegt das daran, daß die Bandmitglieder so unterschiedliche musikalische Einflüsse mitbringen?

Wir sind nicht unbedingt eine Band, die nur eine ganz bestimmte Richtung vertritt. Ich denke schon, daß unsere Arbeit ein gewisser roter Faden durchzieht, allein schon durch meine Stimme, aber es gibt bei uns schon sehr verschiedene Strömungen. Allein die beiden Albumtitel "Circushead" oder "Re-Invent Yourself!" sind ja schon so eine Art Programm, die auch das Bedürfnis widerspiegeln, neue Sachen auszuprobieren, an neue Grenzen zu stoßen. So entstehen z.B. eher ungewöhnliche Sachen wie "Housewife at the end of the world".

In diesem Song wird ja die Geschichte einer Frau erzählt, die als Hausfrau ein eher tristes Dasein führt und schließlich durch einen bestimmten Sound, der in den Einkaufspassagen oder den Häusern der Stadt durchs Radio dringt, in den Selbstmord getrieben wird. Kann man das wörtlich nehmen? Dachtest Du dabei an einen ganz bestimmten Sound, eine bestimmte Musikrichtung, die Deiner Meinung nach die Leute zur Verzweiflung bringt?

Phil Collins! Gemein, nicht?

Was bedeutet Erfolg für Dich? Bei sinkenden Verkaufszahlen steigt sicher auch der Erfolgsdruck...

Also was die Plattenfirma anbelangt, haben wir eine ziemlich große Freiheit. Die Plattenfirma heißt ja jetzt auch nicht mehr Polydor, sondern Motor Music, bei der neben uns Bands wie "Element Of Crime", Phillip Boa" oder "M. Walking on the water" untergebracht sind - also alles Bands, die nicht gerade den Mainstream im deutschen Popbereich darstellen. Man muß nur eben sehen, daß man von dem, was man macht, auch leben kann. Deutschland ist wirklich ein Land, wo das Mittelmaß regiert, wenn man sich anschaut, was so in den Charts läuft. Wir sind nun mal nicht die "netten Rocker von nebenan". Da muß man schon schauen, wie man sich durchsetzt.

Eure Tour wird vom neuen deutschen TV-Musiksender VIVA präsentiert. Welche Chancen siehst Du gerade für deutsche Bands dadurch, daß es nun ein deutsches Gegenstück zu MTV gibt?

Ich sehe für alle deutschen Gruppen neue Chancen. Hier in Hamburg werden plötzlich an jeder Ecke emsig Musikvideos gedreht von Bands, von denen man vorher noch nie etwas gehört hat. Man mag VIVA beurteilen wie man will - ob einem nun die Moderatoren gefallen oder nicht; wahr ist, daß es jetzt ein Forum für deutsche Bands gibt. Klar laufen da auch noch Michael Jackson und Phil Collins, aber das ist anders wohl auch nicht machbar.

Wie sehen Eure Pläne für die Zukunft aus? Gibt es eine neue Single?

Ja, die neue Single heißt "Under the Gun" und kommt mit dem dazugehörigen Video am 21. März heraus, direkt zur Tour.

Die wird dann - im Gegensatz zur ersten Single "Re-Invent Yourself!" auch wirklich erhältlich sein?

Es ist ja eigentlich grausam. "Re-Invent Yourself!" war auch tatsächlich eine Single, wurde aber erst gar nicht an die Plattengeschäfte ausgeliefert, weil die Plattengeschäfte sich nichts hinstellen, von dem sie nicht genau wissen, daß es sich auch verkauft. Die gehen eben lieber auf "Nummer Sicher" und stellen sich lieber 100 Scorpions- oder Phil-Collins-Platten ins Regal, weil sie davon ausgehen, daß das auch gekauft wird. Unsere neue Single "Under the gun" wird aber eine Verkaufssingle, die auch wirklich erhältlich sein wird, und auf der auch drei wunderschöne Acoustic-Stücke drauf sind. Weil sich Singles eben zunehmend schwieriger absetzen lassen, wenn man nicht zu den "Top 20" oder "40" zählt, haben wir schon geplant, einmal eine LP rauszubringen, auf der die ganzen B-Seiten drauf sind. Wir haben mittlerweile 14, 15 dieser Teile rumliegen, und die sind machmal echt Klasse. Dirk, vielen Dank für das Gespräch!

(c) 1994 Sönke Lundt für TREND

Zuletzt verändert: Donnerstag, 26. August 1999 von Axel Krägelius